Anfang März 2024 erreichte das Projektteam der Karlsruher Energie- und Klimaschutzagentur (KEK) eine spannende Nachricht. Nicanor Mejía, Mitglied des Aufforstungsteams auf ecuadorianischer Seite, hat eine bisher unbekannte Baumart auf der neuesten Aufforstungsfläche „La Esperanza“ entdeckt. Vom bisher größten Aufforstungsvorhaben der KEK auf dem Grundstück „La Esperanza“ haben wir bereits im August 2024 berichtet.

Unsere Projektleiterin Julia Ohmes wollte mehr über die Hintergründe erfahren: Wie kam es zu dieser Entdeckung? Wie wurde daraus eine wissenschaftliche Publikation? Und was steckt sonst noch dahinter?

Nico steht an einen Holzstumpf gelehnt auf der Aufforstungsfläche und lächelt.

Nicos Artenkenntnisse der ecuadorianischen Flora sind eine große Bereicherung für die Aufforstungsprojekte. 

Wo hast Du den Baum entdeckt?

Der Fund erfolgte  im Sektor Pueblo Nuevo im Kanton San Miguel de los Bancos in der Provinz Pichincha in Ecuador. Ich war gerade in einem Nebelwaldgebiet auf etwa 1560 Metern Höhe unterwegs; innerhalb des Aufforstungsprojekts „La Esperanza“, das von der KEK in Kooperation mit der Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe realisiert wird. Es handelt sich um eine Umgebung mit großer Artenvielfalt.

Wie kam es zur Entdeckung der neuen Baumart?

Ich musste ein paar Aufgaben im Gelände im Rahmen des Aufforstungsprojekts „La Esperanza“ erledigen. Ich ging einen Pfad entlang, der durch eine Schlucht führt, als ich einen Baum bemerkte, der durch seine großen Blätter und seine ungewöhnliche Form auffiel. Ich näherte mich und stellte fest, dass es sich um eine Passiflora (Passionsblume) handelte. Dies war auffällig, denn die meisten Arten dieser Gattung sind Lianen und keine Bäume. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Baum weder Blüten noch Früchte. Trotzdem machte ich Fotos und konsultierte den Botaniker Xavier Cornejo der Universität Guayaquil, der vermutete, dass es sich um eine neue Art handeln könnte. Einen Monat später kehrte ich an diesen Ort zurück und fand den Baum in voller Blüte vor.

Wie bist Du zu der Auffassung gekommen, dass es sich tatsächlich um eine noch unbekannte Art handelt?

Die Kombination der Merkmale war eindeutig: Der Baum hat eine Höhe von bis zu 15 Metern, besitzt keine sichtbaren Ranken, glatte, ganze Blätter, große Blüten (7–8 cm Durchmesser) und fast kugelförmige Früchte mit einer blassgrünen Oberfläche. Keine der in Ecuador bekannten Passiflora-Arten weist diese Merkmale auf, nicht einmal innerhalb der Untergattung Astrophea, zu der sie gehört.

Auf dem linken Bild ist der Stamm der neuen Art zu sehen. Eine Hand greift um den Baum. Links ist der Baum vom Boden aus zu sehen und man sieht den Stamm und seine Blätter.

Die neue Baumart wurde auf der Aufforstungsfläche „La Esperanza“ entdeckt.

Welche besonderen Merkmale besitzt die neue Passiflora und wie unterscheidet sie sich zu verwandten Arten?

Bei der neuen Passiflora handelt es sich um einen hohen Baum ohne Ranken mit gut ausgebildeten Ästen. Die Blätter sind ganzrandig, unbehaart und eiförmig mit einer blassen Unterseite. Die Blüten sind groß und weiß, die Früchte rund mit einer grünlich weißlichen Oberfläche. Im Vergleich zu anderen ähnlichen Arten wie P. magnoliifolia und P. emarginata zeichnet sich diese durch ihre größere Größe, glatten Früchte und ihr Vorkommen ausschließlich in den nordwestlichen Anden Ecuadors aus.

Wieso habt ihr euch für den Artnamen Passiflora dendroidea entschieden?

Der Name dendroidea stammt aus dem Griechischen dendro- (Baum) und -oidea (ähnlich) und bezieht sich auf seinen baumartigen Wuchs, der für die Gattung Passiflora ungewöhnlich ist.

Wie wurde aus der Entdeckung eine wissenschaftliche Beschreibung?

Als ich den Baum einen Monat nach der ersten Entdeckung wieder besucht habe, hat er geblüht. Nun konnte ich Material wie Blätter, Blüten und Früchte sammeln und mit Exemplaren aus dem Herbarium vergleichen. In Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten erstellten wir eine detaillierte Beschreibung gemäß dem Internationalen Kodex für botanische Nomenklatur. Schließlich wurde die Art im April 2025 in der Zeitschrift Phytotaxa veröffentlicht. Von der ersten Begegnung mit dem Baum am 24. Februar 2024 bis zur offiziellen Veröffentlichung im April 2025 ist also etwas mehr als ein Jahr vergangen.

Links: Ausschnitt aus der wissenschaftlichen Beschreibung der neu entdeckten Baumart Passiflora dendroidea (© Kuethe, J., Cornejo, X., Garzón-Suárez, H.X., Jiménez, M.M., Wettges, M., Magdalena, C., Mejía-Pazos, N., Flores, J.C.E. & Decoux, J. (2025) Passionflower trees of Ecuador: revising the presence of Passiflora subg. Astrophea (Passifloraceae) and including resolution to the P. putumayensis and P. macrophylla taxonomic complexes. Phytotaxa 697 (2): 147–165.)

Rechts: Nico vor einem Exemplar des neu entdeckten Passiflora Baums 

Welche Methoden habt ihr genutzt, um die Art zu klassifizieren?

Wir haben detaillierte morphologische Analysen von Blüten, Blättern und Früchten durchgeführt, Vergleiche mit Typusexemplaren in Herbarien angestellt, Literaturrecherchen gemacht und Tools wie ArcGIS und GeoCAT eingesetzt, um die Verbreitung zu kartieren und den Erhaltungszustand nach den Kriterien der IUCN (International Union for Conservation of Nature) zu bewerten.

Wie ist der Erhaltungszustand der neuen Passiflora Art?

Sie ist vom Aussterben bedroht. Obwohl mehrere Populationen in Reservaten wie El Cedros, Mindo und Intillacta gefunden wurden, ist ihre Verbreitung begrenzt und fragmentiert. Die Besiedlungsfläche wird auf nur 32 km² geschätzt, weshalb vorgeschlagen wurde, sie gemäß den Kriterien der IUCN als gefährdet (VU für vulnerabel) einzustufen.

Ist die Passiflora Deine erste Entdeckung einer neuen Baumart?

Nein. Passiflora dendroidea ist die zweite neue Art, die ich entdeckt habe. Die erste war Capparidastrum estrellae, ein Baum ebenfalls aus dem Nordwesten Ecuadors. Diesen Baum habe ich 2021 im Rahmen eines anderen Aufforstungsprojekts mit der KEK entdeckt und im Nachgang wissenschaftlich beschrieben .

Wie bist Du zu dem Experten für ecuadorianische Gehölze geworden, der Du heute bist?

Meine Ausbildung im Bereich Forstwirtschaft hat dazu geführt, dass ich angefangen habe Bäume aus ökologischer, taxonomischer und restaurativer Sicht zu studieren. Ich arbeite schon seit Jahren im Feld, insbesondere im Westen Ecuadors. So kann ich direkte Erfahrungen mit der einheimischen Flora sammeln.

Was treibt Dich als Botaniker an – was motiviert Dich?

Mich motiviert mein Interesse die Artenvielfalt der Anden- und Tropenökosysteme zu erforschen, zu dokumentieren und zu schützen. Die Identifizierung neuer Arten ermöglicht es, ihre Existenz anzuerkennen und technische, sowie wissenschaftliche Argumente für ihren Schutz zu liefern.

Glaubst Du, es gibt noch viele unentdeckte Baumarten im ecuadorianischen Nebelwald?

Ja. Trotz der Fortschritte in der Botanik sind viele Gebiete des Nebelwaldes noch wenig erforscht. Die Wahrscheinlichkeit, neue Arten zu finden, insbesondere in wenig untersuchten Gruppen oder abgelegenen Gebieten, ist nach wie vor hoch.

Welche Relevanz hat die Artenvielfalt für uns als Gesellschaft und wie können wir diese Vielfalt besser schützen?

Die biologische Vielfalt ist für die Erhaltung des Lebens und des menschlichen Wohlergehens von entscheidender Bedeutung. Sie versorgt uns mit sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, sauberer Luft und wichtigen ökologischen Dienstleistungen wie Bestäubung, Klimaregulierung und Bodenbildung. Im Zusammenhang mit der ökologischen Wiederherstellung bedeutet der Schutz der Biodiversität, die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme wiederherzustellen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu verbessern und nachhaltige Lebensgrundlagen für die Gemeinden zu sichern. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischen Maßnahmen vor Ort zu kombinieren, die Umwelterziehung zu fördern und öffentliche Maßnahmen umzusetzen, die Naturschutz und Entwicklung miteinander verbinden.

Und wieder ist der Nebelwald in Ecuador ein kleines Stück gewachsen: Über tausend KlimaBäume verlassen ihren geschützten Aufzugsort in den Baumschulen und werden vom erfahrenen Aufforstungsteam an ihren endgültigen Standort gepflanzt. Das Aufforstungsprojekt ist Teil des Karlsruher Klimafonds – einem Projekt der KEK. Seit 2012 bietet die KEK über den Karlsruher Klimafonds Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen die Möglichkeit, lokale Maßnahmen, aber auch Klimaschutzprojekte im Globalen Süden zu unterstützen. Eines davon ist das Aufforstungsprojekt in Ecuador am Westhang der Anden.

Bevor der Regen in San Miguel de Los Bancos wieder nachlässt und die Hitze zunimmt, hat das lokale Aufforstungsteam noch eine Aufgabe vor sich. Dort wo aktuell noch eine leere Kuhweide ist, sollen über tausend Setzlinge gepflanzt werden. Diese werden in den nächsten Jahren zu einem Wald heranwachsen. 

Gepflanzt werden wie immer ausschließlich aus der Region stammende Arten. Gute drei Kilometer unwegsames Terrain, sowie ein Fluss trennen den Feldweg von der Aufforstungsfläche. Deswegen haben wir uns vor fünf Monaten gemeinsam mit dem lokalen Team dazu entschieden eine kleine provisorische Baumschule direkt neben dem Gelände zu installieren. So spart sich das Team den mühsamen Transport der Setzlinge vom Feldweg zum Aufforstungsgelände.

Am Tag der Pflanzung ist der Himmel wolkenverhangen und immer wieder regnet es. Um zwischendurch mal etwas geschützt Pause machen zu können, hängt das Team eine Plastikplane auf. Trotz Nässe ist die Stimmung gut und ein Setzling nach dem anderen wird in das schon zuvor vorbereitete Pflanzloch gesetzt. Um sich auch während der Arbeit vor dem Regen zu schützen, haben sich Doña Norma und Don Iván einen Müllsack umgehängt. Mit dem improvisierten Cape sehen die Beiden aus wie Superhelden. Und sind sie und die anderen Teammitglieder das denn nicht auch? Immerhin legen sie mit der Aufzucht und Pflanzung der Setzlinge den Grundstein für ein Stück zukünftigen Nebelwald. Dieser wird in den nächsten Jahren das Treibhausgas CO2 binden und verschiedenen, teils bedrohten Tierarten, neuen Lebensraum schenken.

Während die Einheimischen viele der gepflanzten Baumarten und ihre Eigenschaften sehr gut kennen, können wir noch viel dazulernen. Auffällig sind die teils lustig klingenden Trivialnamen einiger gepflanzter Baumarten, die oft auf das Äußere oder die Verwendung des Baumes schließen lassen: Der „Schweineschmalz-Baum“ (manteca de puerco) ist gekennzeichnet durch sein sehr helles, sehr weiches Holz. Wenn man den „Hühnerblut-Baum“ (sangre de gallina) verletzt, verliert er eine rote Flüssigkeit, die an Blut erinnert und der Affenschwanz-Baum (Guaba rabo de mico) wird so genannt, weil er große lange schotenartige Früchte entwickelt.    

Falls Sie sich engagieren und dafür sorgen möchte, dass noch viele weitere Schweineschmalz- und Hühnerblutbäume durch unser lokales Aufforstungsteam gepflanzt werden, können Sie über die Website des Karlsruher Klimafonds KlimaBäume erwerben. Für jeden erworbenen KlimaBaum, pflanzen wir einen Baum in Ecuador. Sie sind noch auf der Suche nach einem nachhaltigen, sinnvollen Geschenk? Verschenken Sie einen KlimaBaum und erhalten Sie eine personalisierte Urkunde für die beschenkte Person.

Bilder: © KEK/Aufforstungsteam Ecuador